Das Ziegenproblem: Wer Käse sagt, …

 

 

 

 

Ich bin kein Freund von  Zahlen. Die „Schönheit und Präzision“ der Mathematik hat sich mir nie erschlossen. Allein den herrlichen Unschärfen der Wahrscheinlichkeitsrechnung … und der Statistik ist es zu verdanken, dass ich mich durch die Schul- und Studienzeit retten konnte. Genau dort ist mir das Ziegenproblem zum ersten Mal begegnet. Vor über 20 Jahren. Es ist ein Gedankenexperiment, das überhaupt nichts mit Essen, Trinken oder Genuss zu tun hat. Eher mit Glücksspiel. Und nachdem ich auch damit nichts am Hut habe, verschwand das Ziegenproblem aus meinen Gedanken.

 

Dass es mir Jahre später ausgerechnet in den Tiroler Alpen wieder begegnet, damit hätte ich nicht gerechnet. Zugegeben, es hat mit ersterem vom Namen abgesehen nicht wirklich viel gemeinsam. Es geht schlicht um das reale Dilemma, dass Ziegenmilch und Ziegenkäse ohne Kitze nicht möglich ist. Das ist noch kein Dilemma an sich, wäre da nicht der Umstand, dass es – vor allem für männliche Kitze – keinen Markt gibt, sodaß ein großer Teil  der Bockbabies im günstigen Fall als Billigstfleisch exportiert und/oder zu Hundefutter verarbeitet im ungünstigen Fall anderweitig „entsorgt“ wird.

 

Bei den Schafen ist das um nichts anders. Wer Schafkäse will, muss wissen, dass das nur funktioniert, wenn die Schafe auch Lämmer kriegen dürfen. Der einzige Unterschied ist, dass das Lammfleisch um einiges besser beleumundet ist, als das Kitzfleisch. Woran das liegt? Schwer zu sagen. Tatsache ist, dass wir sehr weit zurückblicken müssen, und die Ungerechtigkeit schon in der Bibel finden ist. Während auf der einen Seite vom „Lamm Gottes“ die Rede ist (wobei zugegebenermaßen „Geis Gottes“ schon ein bisserl seltsam klingt), wird die Ziege eher in Verbindung mit dem Teufel gebracht, und wenn wir von Zicken reden, denken wir in der Regel nicht wohlwollend von den so genannten.

 

Am kulinarischen Wert kann es nicht liegen. Einer, der es wissen muss, meint: „Das Kitz steht geschmacklich eindeutig über dem Lamm: Es ist zarter, delikater und gelingt (fast) immer“, so Christian Domschitz vom Vestibül. Er hat recht. Kitzfleisch ist tatsächlich eleganter und nimmt die Aromen der Gewürze viel dankbarer auf, als Lammfleisch. Die Rezepte dazu sind klassisch und vielfältig. Vom ganzen Milchkitz aus dem Bräter (einfach & mit garantiertem wow-Effekt), über traditionelle gebackene Gustostückerl vom Kitz bis hin zum Kitzbeuschel: das Kitz bietet kulinarische Vielfalt, und wer sich jetzt für Kitzfleisch entscheidet, leistet einen erheblichen Beitrag zu Arterhaltung und Tierschutz.

 

Leicht abzulegen ist das Stigma nicht. Lange war die Ziege als „Eisenbahnerkuh“ und Armeleute-Essen in Verruf geraten. Der Verkauf an die Gastronomie gestaltet sich daher ausgespochen schwierig. Brigitte und Thomas Eberharter aus dem Alpbachtal haben sich – vom Problem selbst massiv betroffen – andere Lösungen überlegt. Mit einem Tiroler Metzger gemeinsam stellen sie verarbeitete Produkte wie Kitzbratwürste, Leberknödel und Aufstriche her. Die Produkte sind umwerfend. Vor allem die Bratwürste können was. Und die beiden merken, dass Kitzfleisch auf diese Art etwas einfacher zu vermarkten ist.

 

Dass es Menschen gibt, die sich kleine Zicklein vorstellen und danach keinen Bissen hinunterbringen ist mir klar. Kaum ein Tier, das mit seiner hohen Stirn und den treuherzigen Augen dem Kindchenschema so gut entspricht, wie ein junges Kitz. Aber junge Lämmer und Kaninchen sind auch süß anzusehen. Und schmecken trotzdem großartig.

Ziegenhof Haidacher

 

 

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