Rasmus Kofoed’s geranium

 

 

 

 

 

Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und herausfinden, was es mit der nordischen Küche auf sich hat. Erster Abend: das geranium beim Stadion.

Sie gelten im Moment als die internationalen Speerspitzen regionaler und biologisch/biodynamischer Küche. Beide (das geranium und das noma) sagen das zwar, machen sonst aber nicht viel Aufhebens darum. Sowohl im noma, wie auch im geranium werden mit Leiden- und Könnerschaft vorwiegend (aber nicht nur) vegetarische Gerichte zubereitet, die sich problemlos als Maßstab für die fleischlose Küche etablieren könnten. Hier wie da gibt es keine klassische Speisekarte. Der Gast entscheidet sich für ein Menü mit vorgegebener Speisenfolge. Zubereitungsmethoden, Speisenabfolge und dazugehörige Service-Techniken sind so exakt abgestimmt, dass es anders vermutlich gar nicht funktionieren würde. Daher ist es auch unbedingt erforderlich, genug Zeit für das Menü einzuplanen. Ach ja, ich empfehle in beiden Lokalen statt der Wein- die Saftbegleitung. (Und das obwohl die nordischen Spitzenköche scheinbar eine Affinität zu biologischen und biodynamischen Weinen aus Österreich haben.) Kiefernnadel-Limonade, Zitronen-Thymian-Sirup oder Schwammerlsaft sind Drinks, die man nicht jeden Tag bekommt.

Die „Grüsse aus der Küche“ und die Häppchen zum Schluss mitgerechnet, werden in beiden Restaurants circa die 20 Gänge serviert. Das klingt zwar nach Gelage, ist es aber nicht. Sie werden gleich sehen, warum. Im geranium werden die amuse geules noch nicht am Tisch gereicht, sondern in einer Art Lounge. Einer Ouvertüre gleich, machen diese Gänge sofort klar, in welche Richtung der Abend geht. Kartoffelchip mit Seegras, Karotte mit Sanddorn oder Frischkäse mit Bärlauch klingen zwar auf den ersten Blick nicht sonderlich extravagant, zeigen aber deutlich die Marschrichtung an: Einfache Produkte, überwiegend regional, wenn möglich aus biologischer Landwirtschaft, atemberaubend kombiniert und durch moderne Küchentechnologie völlig neuartig präsentiert – ohne dabei den Bezug zum Produkt zu verlieren. Der Erdäpfelchip mit Seegras hat dabei einen klar asiatischen Bezug. Wunderbar knackig, salzig, gut. Die Karotte sieht eher wie eine Praline aus, was nicht ganz unbeabsichtigt ist. Der Sanddorn ist die cremige Fülle der Kugel.

 

Seasalt Cheese & Ramsons

Carrot & Seabuckthorn

Das Ambiente ist – sagen wir einmal – eigen. Einerseits modern und schlicht. Mit den geschwungenen Bänken, dem offenen Kamin, der das Restaurant von der Lounge trennt, entsteht der Eindruck stylischer Eleganz. Wären da nicht die barocken weissen Tischtücher oder der Service, der in seinen Uniformen eher an Stewardessen in den späten 70ern erinnert. Aber professionell und gut ausgebildet sind sie. Das steht fest.

Bei den Gerichten, die bei Tisch serviert werden, jagt ein Highlight das andere. Auch wenn viel geräuchert wird. „Lightly Smoked Cod & Scallops“ ist ein Hammer von einem Gericht, das mit Ymer (einer dänischen Sauermilchcreme) angerichtet wird. Apropos Hammer: ein absolutes Highlight ist auch der Hummer. Er wird in einer Schüssel unter glühenden Zweigen vom Wacholderstrauch serviert und so am Tisch geräuchert. Eine Art der Aromatisierung, die wirklich außergewöhnlich ist und Hummer völlig neu interpretiert. Ein AHA- und WOW-Effekt gleichermaßen ist die geeiste Auster. Ein gelblich-weisses Sorbet, das optisch nicht viel hermacht. Am Gaumen dann aber für unmittelbares Erstaunen sorgt, weil näher kann man der Muschel geschmacklich nicht mehr kommen, nachdem ihre ursprüngliche Erscheinungsform derart radikal verändert wurde.

Auch die Weinkarte kann sich sehen lassen. Vor allem aus österreichischer Sicht: Die Weine von Loimer, Arndorfer  oder Gut Oggau finden Sie hier ebenso, wie MEINKLANG und Veyder-Malberg. Stil und Ausrichtung dürften damit klar sein. Bemerkenswert ist auch die Auswahl an natural wines aus Österreich. Tschida’s Laissez-Faire und Sepp Muster’s ERDE scheinen in der Tat wie gemacht für die Küche des Nordens.

Um es auf den Punkt zu bringen: Was Rasmus Kofoed hier auf die Beine stellt ist beispielhaft. Und großartig. Ich wünsche mir (auch bei uns) viel mehr Köche und Lokale, die sich mit ähnlicher Leidenschaft und Selbstverständlichkeit der konsequent regionalen Küche hingeben. Denn – und das ist der Haken an der Geschichte – im Moment hat das Nachhaltigkeitskonzept des Lokals einen kleinen Schönheitsfehler. Die Gerichte und ihre Zutaten sind zwar konsequent regional. Die Gäste sind es nicht. Auch rund um unsere Tische waren Gäste aus aller Herren Länder angereist. Manche davon wegen nichts anderem als dem Restaurantbesuch selbst.

 www.geranium.dk
LEBENSART Feb 2012
Christian Seiler über das geranium
 

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