Carlo Wolf ist sehr frankophil. Eigentlich interessieren ihn die zweiten Gewächse ja gar nicht. Mich schon. Ein Verkostungsdramolett in mehreren Akten aus dem Jahr 2010.
Irgendwie hat er’s halt doch drauf, denn die Weine, gerade die älteren Jahrgänge, waren einsame Klasse und vor allem zu den jeweiligen Gängen ein Gedicht. Die Jahrgänge kamen vom Chateau Pichon Longueville Comtesse de Lalande, jenem zweiten Gewächs aus Pauillac, das hin und wieder mit Petit Verdot arbeitet und dessen junge Weine (vor allem den 94er) ich hoch schätze. Diesmal ging es aber nicht um die Jugend, sondern um das, was gute Weine wirklich groß macht – die Reife.
Ich werde hier die Weine beschreiben, wie ich sie empfunden habe, Bilder zu den Gängen des Menüs gibt es (derzeit noch) unter diesem Link.: http://web.me.com/jschmuecking/Web-Site/Vertikale_Comtesse.h…
1875
„Ein Wein, der uns sprachlos macht“. 135 Jahre am Buckel und Rückgrat, dass es einem den Atem verschlägt. Der Wein ist hell, blank mit deutlichen bräunlich-orangen Schattierungen. Vor allem aber präsentiert er sich quicklebendig mit Noten nach Mandarinen, Confit und zarter Kirsche. Am Gaumen sehr trocken, aber mit immer noch präsenter Säure. Ein Wein für feinen, filigranen Genuss. Macht aus der Serie zum Carne Crudo die allerbeste Figur. Im Moment wundervoll trinkbar, grandios und ein deutliches Beispiel dafür, wie sogar das eigene Chateau die Lebensdauer seiner Weine unterschätzt. 1875 markiert übrigens den Beginn des imperialen, bzw. kolonialen Zeitalters. Die Tatsache, dass der Wein im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts – noch VOR DER REBLAUS – gekeltert wurde, die Entwicklung der Welt ein ganzes Jahrhundert lang überstanden hat und jetzt, zu Beginn (seines) 3. Jahrhunderts immer noch so viel Freude bereitet macht einen – wie gesagt – sprachlos.
1906
Dieser Wein ist etwas dunkler, als 1875. Im Bouquet schwebt diskret der Hauch des Todes, und neben Schwarztee, Whisky und Melisse finden wir auch dunkle Töne nach Schokolade, Mokka und reifen Pflaumen. Der Geschmack zeigt die immanente Morbidität noch deutlicher. Wieder dominieren schwarzer Tee und frisch fermentierte Kakaobohnen das Aroma. Der Wein ist für sein Alter überraschend animierend und wirkt fast wie sein Zeitgenosse, der alternde Kaiser Franz Josef, der – die Stirn in Sorgenfalten gelegt – trotzdem noch stolz die kaiserliche Uniform trägt. Zum Gang zwar schon ein bisserl arg gewöhnungsbedürftig, aber immer noch charmant. Gerade die schoko-nougat-Noten bilden einen interessanten Gegensatz zum kalten Crudo.
1923
Echte Freude will nicht aufkommen. Aber vielleicht tut sich dieser arme Wein auch nur verdammt schwer gegen den überragenden 1875 mit seiner überraschenden Vitalität und den dunklen Lord aus 1906 mit seiner morbiden Todessüsse. Der Wein zeigt Marzipannoten, kommt immer wieder in Verdacht, doch nicht ganz sauber zu sein. Er ist auch in der Tat nicht ganz blank, aber auch nicht wirklich trübe. Irgendwas dazwischen. In der Nase kommen noch ganz leicht florale Noten, sogar Heublume. Erstaunlich natürlich, denn auch 1923 ist ein stattliches Alter. Aber im direkten Vergleich stürzt er einfach ab und weder Crudo noch Parmesan vermögen daran was zu ändern. Schade, aber einer hat immer des Bummerl.
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