Adlatus Adlassniggs Atlanten

 

 

 

 

 

Hier wäre vorab einiges zu klären. Beginnen wir mit dem Kontext: Paul Renner und sein illegales Wirtshaus. Und dann mit Orpheus ab in die Unterwelt.Paul Renner ist Künstler. Eines seiner jüngeren Projekte war eben dieses illegale Wirtshaus in Altavilla im Monferrato. Zwei Monate lang wurde jeden Abend getafelt und philosophiert. Pesto aus wildem Fenchel vom Ätna, in Whisky eingekochte Bitterorangen oder Risotto mit den Hoden vom Wildschweineber. Gerichte und Zutaten waren nicht gerade alltäglich. Von „Urgenies“ gemacht, wie Renner seine Lieferanten gerne nennt. Leuten mit Leidenschaft und kreativer Urkraft.

Roland Adlassnigg ist ebenfalls Künstler. Noch nicht so etabliert, wie Paul Renner. Aber eindeutig am aufsteigenden Ast. Und irgendwann haben die beiden einander kennengelernt und dabei ihre gemeinsame Leidenschaft entdeckt. Kunst und Kochen. Seither steht Adlassnigg – ganz nebenbei auch Schnapsbrenner und großer Experimentator in Sachen Frucht und Geist – bei Renners Events und Installationen am Herd. Quasi der Adlatus. Auch diesmal,  beim illegalen Wirtshaus. Nur der letzte Abend – das war seine eigene Bühne: Roland Adlassnigg, Bildhauer, Filmemacher, Koch und Schnapsbrenner entzündet zuletzt mit seinen hochprozentigen Destillaten das Wirtshaus. Eine Soirée tiefster alkoholischer Einkehr.

Nachdem Adlassnigg aber nicht nur Kulinariker, sondern auch Künstler ist, bekommt der Abend eine Dramaturgie verpasst, die tief in der griechischen Mythologie wurzelt. So wird der letzte Abend der osteria illegale zum letzten Abend von Orpheus, bevor er sich auf den Weg in die  Unterwelt macht, um seine geliebte Eurydike zu holen. In Shakespeares‘ Sturm finden sich Hinweise auf die Atlanten des Orpheus. Adlassnigg setzt die beiden Teile der Atlanten künstlerisch um. Den ersten Abschnitt in Form eines Menüs (mehr dazu später), den zweiten als Bilder der verschollen geglaubten Atlanten an den Wänden. Es sind Karten, die Orpheus den Weg in der Unterwelt weisen. Genau so sehen sie auch aus. Teils wie vom Höllenfeuer entstellt oder von Cerberus zerfetzt. Dunkel, tiefgründig, düster. In jedem Fall ein authentischer (und grandioser) Rahmen für die Gänge des ersten Kartenbündels.

Das Menü startet mit Brot und Kräuterbutter. Einfach, aber von herausragender Qualität und Finesse. Adlassnigg nennt den Gang Aus dem Garten der Götter. Weiter geht es mit dem Geschenk der Nereiden, der Meeresgöttinnen. Adlassnigg lässt eine Fischterrine servieren und reicht dazu ein atemberaubendes, wirklich phänomenales Vogelbeer-Williams-Chutney aus seiner eigenen Werkstatt. Die Terrine ist gut, keine Frage. Für das Chutney aber fehlen mir die Worte. Vogelbeer (vor allem als Destillat) hat durch seine Bittermandel-/Marzipan-Töne immer etwas schweres, barockes. Williams hingegen ist immer feingliedrig, zart, geradlinig. Dieses Chutney vereint die Gegensätze auf spannende Art. Und stiehlt den Nereiden damit die Show. Egal. Weiter zu den Nymphen. Deren Salat bietet ein Farbenspiel der besonderen Art: Vitelotten, Kürbis und Kohlsprossen. Allesamt nicht nur bunt, sondern auch unglaublich gut. Mit Odysseus kam nicht nur eine Spur Verwirrung (Gesprächsfetzen aus dem Stimmenwirrwarr an der Tafel war zu entnehmen, dass Odysseus hin und wieder mit Orpheus verwechselt wurde), sondern auch das erste absolute Highlight des Dinners auf die Teller: Odysseus‘ Leibspeis: gefüllte Wachteln mit Griessknödel und Zwiebelragout.

 

Vitelotten

Odysseus‘ Lieblingsspeise. Die Wachtel

Die Brüder Adlassnigg. Inspirierend konspirativ

Sirenen (Kaiserschmarren) und Argonauten (Käse) seien hier nur kurz erwähnt. Deutlich mehr Aufmerksamkeit verdienen die Ausgeburten der Mänaden: Ein Dessert, das an lukullischer Fülle und spielerischem, aber natürlichem Umgang mit Textur schwer zu überbieten ist: Sahnekaffeeeis, Espresso und Schnapsgelee. Das Sahnekaffeeeis ist dick und cremig wie Burrata, das Gelée nur leicht süsslich und kann seine Herkunft (die Schnapsflasche) kaum leugnen. Im Trio mit dem Espresso ist das einer der kreativsten Schlussakkorde seit langem. Hochachtung!

Schluss ist aber ohnehin noch lange nicht. En passant – fast wie zufällig – stehen plötzlich große Einmachgläser mit dunklem Inhalt auf dem Tisch. Bis fünf oder halb sechs dauert die Verkostung der Experimente und Kuriositäten aus Adlassniggs Produktion. Ansatzschnäpse auf Zitronenbirn-Basis. Zwei Fruchtbomben, schwarze Johannisbeer und Brombeere eröffnen den Reigen. Beide präsentieren sich voluminös, fulminant und ausdrucksstark. Die Brombeere ist dabei am Gaumen eine Spur intensiver. Danach Lakritze. Doch, richtig gelesen Lakritze. Bärendreck. Als Ansatzschnaps entbehrlich. Etwas weniger „sortentypisch“ und auch nicht ganz so intensiv wie alle anderen. Was dann kommt, ist die Mutter aller Gerbstoffbomben. Hier können sich Tannat & Co eine Scheibe abschneiden. Der Granatapfelkernansatz riecht verführerisch süsslich und elegant nach Granatapfel. Am Gaumen legt sich ein fliegender Teppich von Tanninen über die Zunge und bleibt und bleibt und bleibt … Versöhnlich dagegen (und darüber hinaus ein überaus stimmiger Schlusspunkt) der Ansatz aus gerösteten Walnüssen. Dunkel wie die Nacht, intensiv aromatisch wie die Perfumes von Thierry Mugler und von zauberhafter Gefälligkeit. Mehr Nuss geht nicht.

 

Die Destillate sind Unikate

 

Am 7. Februar findet in Lech am Arlberg wieder ein illegaler Wirtshaustag statt. Vermutlich wird das Urgenie Adlassnigg wieder vertreten sein. So oder so.

 

Roland Adlassnigg

 

Paul Renner

 

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