Thermenregion, Wachau & die Gunst der Sau

 

 

 

 

 

Ein fetter Nacken und zwei große Weine. Im Zweifel ist es oft das beste, sich für beides zu entscheiden: Nikolaihof vs. Stefan Köstenbauer.

 

 

Bei uns gibt es nicht oft Schwein. Zumindest nicht, wenn es um große Braten geht. Das hat einerseits damit zu tun, dass ich in meiner Nachbarschaft noch nicht wirklich einen Züchter oder Bauern gefunden habe, der das Fleisch so produziert, wie ich das will. Es hat zugegebenermaßen  aber auch mit einer leichten Präferenz für Kalb und Lamm zu tun. Wie auch immer – wenn die Wiesner’s eines ihrer Mangalitzas schlachten, greife ich beim Frischfleisch gerne zu. In diesem Fall bei einem stattlichen Schopf mit guten 3 Kilo. Zuviel für die kleine Familie. Da muss eindeutig die große her, und nachdem die Terminkoordination mit steigender Zahl der Gäste schwieriger wird, wurde der Sonntags- kurzerhand zum Samstagsbraten.

Hier geht es aber nicht um den Braten (obwohl der schon sensationell gut war), sondern um die Frage der Weine dazu. Ja, Weine. Soll zum Schweinsbraten Bier trinken, wer will. Ich wollte rausfinden, wie kräftige, charaktervolle Weissweine zum Braten passen und tat einen beherzten Griff in meinen Keller:

2000 Bricha No. 2, Weinbau Köstenbauer, Gumpoldskirchen, Thermenregion

1993 Grüner Veltliner Vinotheksfüllung, Nikolaihof, Mautern, Wachau

Die beiden Weine sind so verschieden, wie Weine nur verschieden sein können. Schlank, geradlinig und von erstaunlicher Finesse der Veltliner, groß und mächtig dagegen der Bricha. Beide sind es wert, dass ihre Geschichten erzählt werden.

Der Veltliner vom Nikolaihof ist ein Monument. Ich sage gleich, warum. Vorher darf ich den Kollegen Witschko zitieren: „Bamm. Baff. C’est grand!!“. Nicht, dass das ein differenziertes Urteil wäre, es sagt aber einiges über die Überraschung und den emotionalen Zustand aus, den der Wein scheinbar ausgelöst hat. Wie das kommt? Ich habe eine Vermutung.

Wenn ich mich recht erinnere, wurde der 93er bei der VieVinum 2008 vorgestellt, nachdem er vermutlich ein paar Monate davor abgefüllt wurde. Die Präsentation des Weins war damals eine Sensation. 15 Jahre im Holzfass gereift und mit strahlender Jugend gesegnet. Hocharomatisch, tiefgründig, geprägt von der kargen Urgesteinsmineralik der Wachau. Mit seinem brillanten Strohgelb, seinen zauberhaften Aromen nach reifer Quitte, Birne und Steinmehl, seiner asketischen Struktur und seiner unglaublich langen Präsenz am Gaumen beeindruckte der Wein damals die Gäste am Nikolaihof-Stand. Daran hat sich bis heute nicht wirklich viel verändert. Höchstens, dass der Wein mittlerweile fast ausverkauft und nur über Umwege erhältlich ist. Zum Schopf setzt der GV noch einmal zum finalen Höhenflug an. Nachdem der Braten vom Wollschwein war, war er auch dementsprechend fett. Salz, frischer Koriander, Kümmel, Knoblauch. Das war’s eigentlich, und dieses Spektrum bot dem Wein eine Bühne, auf der er  glänzen und strahlen konnte. Eine großartige Kombination, in der sich die würzigen Noten von Wein und Gericht perfekt ergänzen. Irgendwo im Keller liegt noch eine Flasche. Glaube ich. Hoffe ich.

 

 

Der zweite Wein hat eine andere Geschichte. Stefan Köstenbauer ist vor ungefähr einem Jahrzehnt angetreten, um die Gumpoldskirchner Weine neu zu erfinden und damit die (Wein-)Welt zu erobern. Fast hätte er es geschafft. Seine Weine waren etwas Besonders. „Doppelconfernce“, „Aßlatz“ oder „Goldknöpfel“ haben den Beginn meiner Weinleidenschaft begleitet und auch maßgeblich mitgestaltet. Köstenbauer hat radikale Ideen umgesetzt. Kompromisslose Terroir-Orientierung (Der Bricha 2 ist ein reinsortiger Zierfandler. Muss man aber wissen. Am Etikett ist davon nichts zu finden), ein hohes Preisniveau (das sich eher an Grand Crus aus dem Burgund orientiert, als an den Spitzenweinen der Thermenregion) und reduzierte Öno-Technologie. Damit ist der der Naturwein-Community um gute 10 Jahre voraus gewesen. „Geschwefelt werden meine Weine sowieso nicht, außerdem stelle meine Weingärten auf biologische Bewirtschaftung um.“, hat er damals gesagt. Er hat es nicht geschafft. Stefan Köstenbauer macht keine Weine mehr. Aber wann immer Sie eine Flasche mit der mysteriösen Wildsau am Etikett sehen, schlagen Sie zu. Sie werden es garantiert nicht bereuen.

Der Bricha 2 ist ein Wein, der enorm vom Luftkontakt profitiert. Ist das erste Glas noch leicht zugeknöpft (vielleicht auch eine Spur zu kühl), offenbart sich schon im zweiten Glas das Spektakel. Extreme Intensität und burgundische Tiefe, wir finden neben enormer Frucht (schwarze Johannisbeere, Mango und Lychee) auch die deutlichen Boten des massiven Barrique-Einsatzes: geröstete Kaffeebohnen (!), Vanille. Ein Wein von enormer Wucht und gleichzeitig elegant-filigranen Gewürznoten. Kardamom, immer wieder Kardamom.

„Allemal zählen seine Weine zu den spannendsten von mir verkosteten Weinen. Nach internationaler Stilistik ausgebaut, präsentiert sich die Bricha 2000 als gebündelte Duftorgie von Cassis, Lychee und Vanille. Kräftiger, finessenreicher Körper, cremig, mit enormer Frucht, Dichte und süßlichen Noten, sowie elegante Säure und präsente Tannine, verleihen dem Zierfandler etwas Epochales. 
Ein Wein, der vor Persönlichkeit nur so strotzt, dessen Lebensdauer noch gar nicht abzuschätzen ist.“

Das ist aus einer Verkostungsnotiz aus 2005. Heute, 7 Jahre später, ist dem nicht viel hinzuzufügen. Im Duo zum Schopf tut sich eine völlig andere Welt auf. Besticht der Veltliner vor allem als harmonischer Tanzpartner für den Braten, haben wir es hier mit einer Kombination zu tun, die ihre Attraktivität aus der Gegensätzlichkeit bezieht. Ein wuchtiger, charaktervoller Wein gegen ein wuchtiges, charaktervolles Stück Fleisch. Zwei Persönlichkeiten, die um Aufmerksamkeit kämpfen. Und dieser Kampf ist spannend. Äußerst spannend.

Die Weine von Stefan Köstenbauer sind klarerweise so gut wie vom Markt verschwunden. Jedenfalls aus meinem Keller sind sie das. Leider. Gestern habe ich die Flasche mit der Nummer 154 aufgemacht. Das war die letzte. Loslassen können? Noch nicht ganz – im Österreich-Sortiment von Gawein Bruckner habe ich noch was gefunden.

 

 

 

 

 

 

 

 

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