Flaccianello della Pieve: 1993-2007

 

 

 

 

 

Irgendwie erinnert mich die Verkostung an Bernhard Ludwig’s Kabarett ‚Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit‘. „Je höher Sie die Erwartungen schrauben, desto größer wird/kann die Enttäuschung sein.“Genau wie hier, denke ich. Flaccianello ist ein Kultwein, keine Frage. Kult bedeutet hoher Preis und kleine Menge. Und viele Punkte. Meistens Parker-Punkte. Die Weine haben unterschiedliche Bewertungen bekommen, unter 90 Punkte fast nie (1996, 2000 und 2001), meistens 92 – 93 und in in ganz tollen (Parker-)Jahren wie 2006 oder 2007 gar 96 Punkte. Im aktuellen Falstaff zählt Peter Moser die 100 besten Weine der Welt auf. Fontodi ist mit dem Flaccianello vertreten. Auf Platz 90 zwar, aber wenn es schon eine derartige Liste gibt, und mit so einem Top100-Wein eine Vertikale über 12 Jahrgänge angeboten wird, hat man auch das Recht, neugierig und mit einiger Erwartung an die Sache ranzugehen.

Noch einen Grund gibt es, warum mich die Serie interessiert hat: Fontodi ist ein zertifizierter Bio-Betrieb. Einer mit enormer Zugkraft für Panzano. Im Projekt ‚panzano sostenibile‘ schart Giovanni Manetti die Winzer der Gemeinde um sich, um an einer großen zusammenhängenden Bio-Rebfläche zu arbeiten.

Die Weine im Detail:

 

Flaccianello della Pieve 1993

Helles Bordeauxrot, helle Ränder, helles Orange ebendort, heller Kern. Der Wein wirkt deutlich gereift. In der Nase sauber, aber vom Zahn der Zeit gezeichnet. Expressive Fruchtnoten, reife Weichsel, Schwarztee, Liebstöckel. Der Wein hat immer noch Kraft und Statur, wenn auch in Ehren ergraut. Will (und kann) nicht verbergen, dass er in seiner Jugend ein ungestümer Kraftlackel war. Von diesem rohen, ungeschliffenen Kern hat er sich einiges bewahrt. Im Moment in guter Verfassung, allerdings mit wenig Aussicht auf eine weitere große Zukunft.

 

Flaccianello della Pieve 1995

Mittleres Rubin mit ansatzweisem dunklen Kern. Sehr sauber, sehr ausdrucksstark. Getrocknete Feige, Rosinen und Zibeben, Rumpflaumen, leichte Armagnac-Nase, alles zusammen recht rustikal. Rotes Beerenmark. Erinnert an reife Burgunder (allerdings ohne den hohen und ziselierten Himbeertönen; sehr bodenständig, wie alter, italienischer Landadel. Vielleicht der authentischste unter den Weinen des Abends. Viel Maggikraut in der Nase.

 

Flaccianello della Pieve 1996

Brillantes, fast strahlendes Rubin mit klarem Kern und sehr deutlicher Schlierenbildung. Sauber und stark ausgeprägte Intensität. Der Wein wirkt reif, aber keinesfalls ‚drüber‘. Hochreife Fruchtnoten, Kirschlikör, Earl Grey. Am Gaumen fast jugendliche Tannine, trocken. Zeigt in der Nase, dass er einmal ein ganz großer war. Komplex und tiefgründig – mit einem ordentlichen Batzen Liebstöckel/Maggikraut als Basis. Am Gaumen lässt sich bereits das Ende erahnen. Ein Hauch Morbidität, Schwarztee, Trockenfrüchte. Ohne Druck.

 

Flaccianello della Pieve 1997

Der dunkle Lord im ersten Flight. Sowohl die Farbe betreffend, aber auch den Tiefgang. Breiter Kern, leichte Aufhellung der Ränder. Sauber, ausgeprägt. Ein Bündel an Gegensätzen. Reif mit jugendlichen Anklängen. Wirkt fruchtsüss und hat trotzdem kräftige Säure mit Biss. Hat Volumen und gleichzeitig athletische Geschmeidigkeit. Macht von den Weinen im ersten Flight am meisten Freude.

 

Flaccianello della Pieve 1998

Dunkles Rubin, zarte Randaufhellung, breiter Kern. Der Wein wirkt üppig, breit. Deutlich oxidativ, Pflaumenwein und Hollerröster. Die Aromen sind nicht wirklich fein gestrickt. Im Gegenteil. Irgendwie wirkt der 95er verwaschen und unpräzise. Am Gaumen macht er den Eindruck, als würde er nur noch durch ein paar Gerbstoffmoleküle zusammengehalten. Im Glas verändert er sich zwar mit der Zeit, es ist aber keine Veränderung zum Besseren.

 

Flaccianello della Pieve 1999

den hat TCA 2-4-6 auf dem Gewissen

 

Flaccianello della Pieve 2000

Mittleres Rubin, hellrote Ränder, sauber und im besten Alter. Die reifen Fruchtnoten lassen auf hochreifes Erntematerial schließen. Kandierte Früchte, Orangenschale, Kumquats, Rumtopf und darin eingelegte Früchte. Filigran und gleichzeitig kraftvoll, elegant und gleichzeitig statuiert. Die Abgänge in Nase und am Gaumen sind charmant: Sechspeck hier, lange und geradlinig dort. Macht Spass.

 

Flaccianello della Pieve 2001

Macht nicht ganz so viel Spass. Eher ein Wein, der nachdenklich macht. Granatrot, helles Orange an den Rändern. Deutliche (und ästhetische) Schlierenbildung. Trotzdem nur mittlere Reife. Fast jugendliche Noten beim Holz. Ein Wein, der sehr schwer zu fassen ist. Präsentiert in einem Augenblick Profil und Struktur, im nächsten ist nichts mehr davon da. Baut im Glas erst ab, dann wieder kurz auf, später …
Ein klassischer Musil’scher Ulrichswein, ein ‚Wein ohne Eigenschaften‘

 

Flaccianello della Pieve 2003

Rubinrot, satt, dicht, kompakt. Deutliche Depot-Spuren. Sauber, höchstens etwas gekocht, verwaschen wie 98. Rote Grütze, Roibos-Tee, ein Desiderat aus Luft und Rauch. Wirkt, als wäre es dem Wein irgendwann einmal (am Rebstock, im Fass oder in der Flasche) deutlich zu heiss geworden. Macht im Moment keinen Spass (und ich habe auch nicht viel Hoffnung, dass sich das noch einmal ändert).

 

Flaccianello della Pieve 2004

Großes Jahr, großer Wein. Da ist nicht viel zu sagen. Ein Erlebnis. Dichotomie im Glas. Reif, süss-saure Drops, hochreife Frucht, enorme Bandbreite von Sauerkirsch bis dunkle Schokolade. Präsentes und gefälliges Tannin, bodenständige Eleganz. Für mich DER Wein des Abends.

 

Flaccianello della Pieve 2006

Second Best! Tiefdunkles Rubin, violette Ränder, jugendlich. Auch in der Nase. Vielleicht etwas restriktiv – zurückhaltend, aber kompakt und klitzekleine Einblicke gewährend. Soll heissen: wie die verschlossene Blüte einer unglaublich schönen Blume. Konzentriert, zarte Röst-Aromen – trotz massivem Holzeinsatz. Gerbstoff ohne Ende und alles ausgesprochen jung: das Holz, die Tannine, die Harmonie. Wird sich noch öffnen und wenn er das tut, geht die Post ab. Dann könnte er die 96 Punkte erreichen, die Parker oder Team scheinbar als Vorschuss-Lorbeeren vergeben hat.

 

Flaccianello della Pieve 2007

Dunkel, jugendlich, hochreif. Power Pur. Der Wein macht Druck, und zwar in alle Richtungen. Ein ganz und gar nicht subtiles Riesenbaby, dessen Potential im Augenblick nur schwer abzuschätzen ist. Trinkspass macht er im Moment nur mit masochistischer Ader, allerdings könnte sich das in den nächsten Jahren ins Gegenteil verkehren. Und das halte ich für gar nicht unwahrscheinlich.

 

Dank an das Team von domoVino für die Zusammenstellung der Vertikale.

 

 

 

 

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