Little Britain, very tasty

 

 

 

 

 

Isabell und Christoph Wiesner (und natürlich ihre vier Kinder) sind schon ganz besondere Menschen. Irgendwo im Nirgendwo betreiben sie eine kleine Farm,einen Arche-Hof genauer gesagt. Ein Refugium für seltene Nutztierrassen in Wischathal, Niederösterreich. Sulmtaler Hühner, Perlhühner, ein paar Puten, ein paar Pferde und natürlich Schweine. Nicht irgendwelche. Mangalitzas. Rote, Blonde, Schwalbenbäuchige. Christoph Wiesner ist Präsident der IGWÖ, der Interessensgemeinschaft der Wollschweinzüchter Österreichs und deren oberste Instanz in puncto Zucht- und Rasse-Standard: der Zuchtbuchführer. Jüngster Coup der Wiesners ist die Gründung von Mangalitza International, eines Verbands von Mangalitzazüchtern mit ähnlichen Zielen wie die IGWÖ, nur eben auf internationaler Ebene. Im Juni wurde Power-Bauer Wiesner auch hier zum Präsidenten gewählt.

 

Eine der ersten Aktionen von Mangalitza International war die UK Mangalitza Breeding & Culinary Tour. Kein touristisches Reiseangebot für Foodies, eher angewandtes Wissensmanagement für Züchter. Fleisch.pur war dabei und hat die  Wollschweinefürsten bei ihren Kollegenbesuchen begleitet. Und Erstaunliches über das Vereinigte Königreich jenseits kulinarischer Vorurteile erfahren. Hier drei Beispiele. Willkürlich ausgewählt.

 

Die erste Station ist Rectory Reserve. Brian und Sylvia Codling‘s Anwesen in Fulletby, Horncastle in der Grafschaft Lincolnshire. Ungefähr 200 Kilometer nördlich von London, nahe der Ostküste Englands. Vorbei an Nottingham und gefühlten 200 Kreisverkehren. Die Fahrt lohnt sich. Rectory Reserve liegt mitten in der sanft hügeligen Landschaft von Lincolnshire. Die Küste liegt zwar noch nicht in greifbarer Nähe, der belebende kühle Wind der Nordsee liegt aber schon spürbar in der Luft. Brian ist ein höflicher, fülliger, durch und durch lebensfroher Herr im dritten Drittel seines Lebens. Stolz präsentiert er, was er und seine Frau sich seit 1999 hier geschaffen haben. Eine kleine Farm, die jener der Wiesners gar nicht so unähnlich ist. Und doch grundverschieden. Aber dazu später mehr. Die Codlings sind klassische Direktvermarkter. Verkauft wird in erster Linie ab Hof und auf Bauernmärkten, die in der Grafschaft eine lange Tradition haben. Die Produkte sind ebenso traditionell: Lincolnshire sausages. Für diese Würste – am ehesten mit unseren Bratwürsten vergleichbar – wurde von einigen Produzenten bei der EU ein Schutz der Ursprungsbezeichnung beantragt. Brian‘s Würste sind herausragende Vertreter ihrer Art. Salbei und Thymian geben ihnen ein frisches Aroma, die Rezeptur ist ausgewogen, harmonisch. Aber irgendeine Erwartung wird enttäuscht. Sie schmecken irgendwie leicht. Zu leicht für Mangalitza. Abgesehen davon eigentlich überhaupt nicht nach dem Wollschwein. „Gute Qualität, fehlende Sortentypizität“, würde ich schreiben, handle es sich nicht um eine Wurst, sondern um Wein. Brian‘s Knaller sind allerdings nicht seine Bratwürste. Auch nicht die Blutwurst. Die ist als Black Pudding zwar von außerordentlicher Delikatesse, den Vogel schießt aber eindeutig Lincolnshire Chine ab. Hier ist die Herkunftsangabe von großer Bedeutung, weil die Art der Zerlegung (des Schweins) und die Herstellung des Produkts einzigartig sind. Chine ist eigentlich ein Begriff aus dem Schiffsbau. Das ist nachvollziehbar, wenn man das Stück betrachtet. Die Ähnlichkeit mit einem (alten) Schiffsrumpf ist unübersehbar.  Anatomisch gesehen ist es das Teil zwischen den beiden Schulterblättern. Die Länge geht vom letzten Halswirbel bis zur Brust. Wichtig für das Aroma sind auch noch ein paar Zentimeter Rückenspeck. Das Fleisch wird erst für einige Zeit in Salzlauge (mit etwas Pfeffer, Zucker und Bier) eingelegt und anschließend getrocknet, tief eingeschnitten und mit Petersilie und Majoran gefüllt. In anderen Rezepten finden wir auch Thymian, Salbei und Himbeerblätter. Verwendet wird, was Region und Saison hergeben. Das Ergebnis ist atemberaubend. Als Brotbelag, kalt serviert bietet stuffed chine dem Gaumen ein außerordentliches Erlebnis. Zart, aromatisch, würzig. Am besten mit einem Schuss Essig, um dem Fett etwas entgegenzusetzen und den feinen Noten der Gewürze einen eleganten Rahmen zu bieten. Aber auch hier: ein ganz hervorragendes Produkt von außergewöhnlicher Mach-Art. Mit dem, was wir hierzulande als typischen Mangalitza-Geschmack zu schätzen gelernt haben, hat es allerdings wenig zu tun.

2007 hat Brian Codling das Lincolnshire Curly Coat Pig entdeckt. Genauer gesagt, hat er die Geschichte dieses Schweins entdeckt. Das Curly Coat oder Baston Pig ist eine „autochtone“ englische Rasse, die allerdings Anfang der 70er Jahre ausgestorben ist. Erhalten ist hingegen ein Teil des Erbguts, und zwar im Blonden Mangalitza. Durch Zuchtmaßnahmen wird auf Rectory Reserve und anderen Gütern jetzt versucht, dem Lincolnshire Curly Coat wieder Leben einzuhauchen. Regionalität ist eben trendy – auch in England. Ob der unterschiedliche Geschmack auf diese Rassenfrage zurück zu führen ist? Eher nicht, meinen die Experten. Viel wahrscheinlicher ist, dass in Fulletby die Schweine früher geschlachtet werden und daher nicht so viel Fett aufbauen können. Vorauseilender Gehorsam gegenüber eines Marktes, der (zu viel) Fett immer noch meidet, wie der Teufel das Weihwasser. Darüber hinaus brauchen Fett und Fleisch etwas mehr Zeit, um den typischen Geschmack zu entwickeln. Brian gibt seinen Schweinen diese Zeit nicht. Und macht damit außergewöhnliche und saugute Produkte. Mit seinem eigenen – englischen – Stempel.

Information auf www.rectoryreserve.co.uk

 

Machen wir einen weiten Sprung nach Norden. Aberdeen, Schottland. In Ellon, knapp 30 Kilometer die Nordseeküste entlang weiter nach Norden finden wir den Hof von Cheralynn Pieters und ihrem Mann Andrew. Schafe, Geflügel, Hund und Schweine. Cornwall (die ganz Großen, Schwarzen) und natürlich Mangalitza. „When you are breeding pigs to sell their meat to a discerning public, it’s  important that you choose your bloodlines and your pigs carefully“, meint Cheralynn. Damit kommt ihr Christoph Wiesners Zuchtbuchhalterseele genau recht und entspricht der Qualitätspolitik von Quarryhead Meats. Die Produkte sind übrigens erstklassig und haben – der Familienname lässt es vermuten – südafrikanische Wurzeln. Boerewors (Boerwurst oder Bratwurst) ist ein  Rezept vom Horn und fügt sich nahezu nahtlos in die kulinarische Landschaft Schottlands ein. Zu den Ingredienzien gehören Neben Pfeffer, Knoblauch (viel Knoblauch), Worcestershire Sauce auch Muskat und Thymian. Die Wurst hat einen Durchmesser von etwa 2 cm und wird in einer Länge gefüllt, die es erforderlich macht, die Wurst in Spiralform zu servieren. Am Grill ist die Boerwurst kaum zu schlagen. Andrew, Cheralynns Mann (und der mit dem Migrationshintergrund in der Partnerschaft) ist übrigens passionierter Salamist. Chorizo und klassische Salami gehören jetzt zwar nicht a priori in den kühlen Norden Schottlands, sind aber so außergewöhnlich gut, dass wir hier gerne einmal jede Herkunftsfrage hintanstellen. Verkauft werden die Produkte von Quarryhead Meats über einen regionalen Fleischer, sowie auf Bauernmärkten in der näheren Umgebung und natürlich ab Hof. Ein Besuch bei den Pieters lohnt sich in jedem Fall. Glen Garioch, Glenfiddich, Balwenie und andere Whisky-Destillierien der Speyside sind immerhin in unmittelbarer Nachbarschaft.

 

Zu guter Letzt noch ein kleiner Exkurs zu einem kulinarischen Erlebnis der besonderen Art. Haggis ist DAS Nationalgericht Schottlands. Ein Gericht, um das Mythen sich ranken und zu dem Rituale erfunden wurden. Dabei ist es ganz einfach. Nach dem Schlachten eines Lamms werden die Innereien verarbeitet. Herz, Lunge, Leber und Nieren werden in einer Fleischbrühe gekocht und anschließend grob geschnitten. Die gehackten Innereien werden mit Zwiebeln, dem Nierenfett und Hafermehl vermischt und mit Pfeffer, Muskatnuss und Muskatblüte gewürzt und in den- gut gereinigten – Lammmagen gefüllt. Der Magen wird zugenäht und etwa 3 Stunden in kochendem Wasser gegart. Serviert wird Haggis üblicherweise mit Erdäpfeln und Rüben. Im Idealfall wird der Magen erst bei Tisch aufgeschnitten, so dass die Fülle effektvoll austritt. In seiner modernen Variante werden die Innereien faschiert und bekommen einen Anteil Muskelfleisch an die Seite. Schade eigentlich. Im direkten Vergleich liegt das traditionelle Gericht um Längen voran. Burns Supper heisst übrigens eines der Rituale, bei denen es um den Verzehr von Haggis geht. Burns Supper zieht dabei alle Register der Highlander-Folklore: Dudelsack, Flaggen, Schwerter und Tartans.

 

Fazit: Das Königreich hat deutlich mehr zu bieten als Fish & Chips und Minz-Sauce. Sämtliche Betriebe, die auf unserer Route lagen, sind kleinstrukturierte Direktvermarkter mit enormem Qualitätsanspruch. Einige davon stemmen sich gegen den Mainstream. Ersparen ihren Tieren lange Transportwege und lassen ihr Fleisch auch gerne einmal länger reifen. Die Ergebnisse sind beeindruckend.

Bildergalerie auf flickr

 

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