Wider den Widersinn des Winnetou-Schnitzels

 

 

 

 

 

Ein Sommerfrischeort in der Mitte unseres Landes. Irgendwo in Salzburg. Es könnte aber auch genauso gut in Tirol oder Niederösterreich gewesen sein.Für die Geschichte macht das keinen Unterschied. Es ist ungefähr 40 Jahre her. Meine Eltern haben traumhafte Urlaube mit uns gemacht. Ein einziger Schatten trübt dieses Bild. Der Kirchenwirt. Genauer gesagt, sein gastronomisches Angebot für Kinder: Pumuckl-Teller und Winnetou-Schnitzel. Das Schnitzel selbst war unter einem Berg von Pommes frites vergraben aus dessen Gipfel eine zerzauste Krähenfeder ragte. Ich habe sie gehasst. Die Feder, den Berg, das Schnitzel. Beim Pumuckl-Teller war wenigstens Abwechslung möglich. An geraden Tagen waren es Spaghetti bolognese, an ungeraden Toast Hawaii. Mit roter Glitzerpalme.

In der Zwischenzeit sind 40 Jahre vergangen. Die Gastronomieszene hat sich verändert. Im Kirchenwirt – so es ihn noch gibt – herrscht schlichte Eleganz, die Gerichte sind eine Spur extravaganter angerichet und die Weinkarte bietet deutlich mehr als den Schankwein in rot oder weiß. Der Koch hat vermutlich ein Tattoo. In Zeiten von Hygienevorschriften und HACCP steckt zwar niemand mehr gerupfte Krähenfedern ins Kinder-Wiener, abgesehen davon hat sich in Sachen „Kindermenüs“ aber nicht viel getan. Hier leben wir immer noch fidel in den 70ern und unsere Kinder werden mit Schnitzel, Mayo und Pommes beglückt.

Dabei wäre es ganz einfach: Kinder essen genau das Gleiche, wie Erwachsene. Nur weniger. That`s it! Den Rest regeln Angebot und Nachfrage. Warum ich glaube, dass das so ist? Weil ich davon überzeugt bin, dass Kinder ganz grundsätzlich neugierig, abenteuerlustig und experimentierfreudig sind. Dabei entwickeln sich Präferenzen. Vorlieben, wenn Sie so wollen. Mein Bub ist gerade in der Ketchup-Phase. Der Tomatengatsch kommt über einfach alles. Das Interessante daran ist, ihn beim Experimentieren zu beobachten. Kombinationen, die schmecken, werden beibehalten. Andere werden verworfen. Selektive Geschmacksentwicklung. Faszinierend.

Es ist enorm wichtig, dass die Gastronomen das verstehen. Gerade in Zeiten der permanenten Verführung, in denen der Schachtelwirt mit „Happy Meals“ und Spielzeug sein Zielpublikum penetriert. Die Gegenbewegung ist eh nicht ruhig. Slow Food bietet in Österreich Schulgartenprojekte, Geschmacksschulungen und Kochkurse für Kinder an. Die Nachfrage danach ist viel größer als das Angebot.

Zum Schluss noch ein dringliches Anliegen an alle Wirtinnen und Wirte: Bitte, bitte hört damit auf, Kindergerichten Phantasienamen zu geben. Ihr kommt mit der Geschwindigkeit der Trends ohnehin nicht mit. Kaum habt Ihr den Shrek-Teller auf der Karte, ist der Held schon wieder keiner mehr. Und wenn wir schon dabei sind: bitte auch auf Pseudo-Poetik und allfällige lyrische Anwandlungen verzichten. Ninjago-Pago? Harry Potter-Dotter? Oder Conan, das Tatar? Bitte nicht!

 

Im Original: http://www.lebensart.at/kleine-gaumenforscher

Im Print: LEBENSART 2 2012

 

 

 

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